Enstehungsgeschichte der Zielgruppe 14-49
Selbst für viele Marketingexperten ist es heute kaum noch nachvollziehbar, wie die Altersgruppe der 14- bis 49-Jährigen als „werberelevante“ Zielgruppe so stark in den Fokus der Media- und Programmplanung rücken konnte. Denn dahinter verbirgt sich eine breite Palette unterschiedlichster Konsumenten: Männer, Frauen, Schüler, Studenten, Auszubildende, Ledige, Verheiratete, Kinderlose, Kinderreiche, Personen mit niedrigem oder hohem Einkommen, mit unterschiedlichen Lebensstilen, Einstellungen und Konsumverhalten. De facto haben sie alle nur ein gemeinsames Merkmal: Sie haben ihren 50. Geburtstag noch nicht feiern können. Es erschließt sich einem nur schwer, warum gerade dieses Kriterium einen Beitrag zu erfolgreichem Marketing leisten sollte.
Man muss etwas zurück- und über den Atlantik schauen, um die Karriere der „werberelevanten“ Zielgruppe nachvollziehen zu können. Etwa 1957 versuchte Leonard Goldenson, damals Chef des amerikanischen Networks ABC, seinen Sender neu im amerikanischen Fernsehmarkt zu positionieren. Seine Strategen hatten festgestellt, dass ABC im Vergleich zu den Konkurrenznetworks CBS und NBC relativ besser abschnitt, wenn man nicht die Reichweiten aller Erwachsenen zugrunde legte, sondern nur die der 18- bis 49-Jährigen. Die Vermarktungsabteilung von ABC propagierte diese neue Zielgruppe als die „bessere“ Planungsstrategie.
Von der Verkaufsstrategie zur Planungsgrundlage
Was zunächst die leicht durchschaubare Verkaufsstrategie eines Senders war, entwickelte sich dann in den 1960er Jahren tatsächlich zu einer zunehmend angewandten Planungsstrategie. Die Ursache dafür war eine demografische Entwicklung, welche die Alterspyramide der amerikanischen Gesellschaft stark veränderte: der Babyboom. Die Gesellschaft verjüngte sich und die Zahl der Familien mit Kindern nahm dramatisch zu. In den 1960er Jahren lebten in über 40 Prozent aller amerikanischen Haushalte Kinder. Junge Leute heirateten früh und gründeten Familien. Das war gleichzeitig die Bevölkerungsgruppe mit dem größten Konsumbedarf und der größten Kaufkraft. Denn – im Gegensatz zu Deutschland – waren ältere US-Amerikaner aufgrund der fehlenden Sozialversicherung relativ arm im Vergleich zur erwerbstätigen Bevölkerung. Bis zum Beginn der 1970er Jahre wurde „18 bis 49“ immer mehr zum Synonym der konsumfreudigen Babyboomer, der Nachkriegsgeneration, die zwischen 1946 und 1964 geboren wurde und mit dem Medium Fernsehen aufgewachsen ist. Die Reichweiten in der Zielgruppe 18 bis 49 wurden quasi zur Währung der Fernsehwerbung: zur quantitativen Grundlage für Planungsentscheidungen.
Wie so vieles, was jenseits des Atlantiks populär war, kam auch diese Marketingidee mit einiger Verspätung nach Europa. Es war der private Fernsehsender RTL, der Anfang der 1990er Jahre begann diese Zielgruppe zu propagieren, um sich besser gegen ARD und ZDF zu positionieren. Wie schon in den USA war also auch hierzulande die Entdeckung der 14- bis 49-Jährigen als „werberelevante“ Zielgruppe kein Ergebnis objektiver Forschung, sondern die Verkaufsstrategie eines Senders. Im Gegensatz zu den USA allerdings beschrieb die Zielgruppe 14 bis 49 in Deutschland von Anfang an weder eine spezifische Generation noch eine Bevölkerungsgruppe mit ähnlichem Konsumverhalten. Namhafte Vertreter der Werbewirtschaft bestätigen auch unumwunden, dass die Zielgruppe 14 bis 49 nichts anderes ist als eine Konvention, die in erster Linie als Grundlage für die Abrechnung von Fernsehwerbung dient. Sehr deutlich brachte es der ehemalige Chef der Agentur Grey, Bernd Michael, in der Fachzeitschrift media & marketing auf den Punkt: „Das Privatfernsehen hat zuerst das Gerücht gestreut, dass nur die Leute zwischen 14 und 49 etwas zählen. Das ist eine glatte Lüge, das war schon immer ein Missverständnis, aber darauf sind alle reingefallen.“ Soweit ein Auszug aus der kritischen Studie zur Werberelevanz von Alterszielgruppen (Kaufkraft kennt keine Grenzen). Die Lektüre kann nur wämstens empfohlen werden. Sie erklärt nachvollziehbar die Folgen des demografischen Wandels und seine Auswirkungen. Und indirekt beantwortet sie auch die Frage, wo denn nur die Hörer geblieben sind.
Jürgen Kauer (radioberatung.de)